von Klaus Vöge
Als Fossiliensammler finden wir von den Seeigeln gewöhnlich nur die Corona oder die losen Stacheln. Ein Glücksfall ist es, wenn uns der Fund einer Corona mit ihren dazugehörigen Stacheln gelingt. Etwas ganz Besonderes ist es, das noch erhaltene Kauwerk zu entdecken. Schauen wir uns die Anatomie der Seeigel einmal genauer an, so bemerken wir weitere Bestandteile auf der Gehäuseoberfläche dieser Tiere: Es sind u.a. die Ambulakralfüßchen, diese werden wir fossil sicherlich nicht finden, da sie aus Weichmaterial bestehen, das die Zeit nicht überlebt. Finden kann man die kalkigen Teile der Zangen oder Pedicellarien. Diese fossil zu finden ist schon extrem selten und es bedarf großer Aufmerksamkeit und Erfahrung, diese zu erkennen, was im Gelände leider nicht möglich ist, da die Größe im Millimeterbereich liegt! Diese kleinen Besonderheiten kann man nur zu Hause unter dem Mikroskop ausmachen.
Zurzeit habe ich von drei Fundstellen fossile Pedicellarien in meiner Sammlung:
Der erste Fund zweier Pedicellarien stammt aus dem Schlämmmaterial eines Schwammes bei der Suche meiner Frau nach Schwammnadeln. Sie stammen aus dem Campan von Misburg bei Hannover - klein, glasklar und 75 Millionen Jahre alt. Da sie längere Zeit in der Säure lagen, müssen sie voll verkieselt sein. Nach dem ich die beiden Exemplare fotografiert hatte (Abb 1), fertigte Dr. Chr. NEUMANN vom Humboldt-Museum in Berlin weiter Aufnahmen mit dem Rasterelektronenmikroskop. Dessen Bilder zeigen die Pedicellarien auf hervorragende Weise mit allen ihren Einzelheiten! (Abb. 2-5 )
Ophiocephale und globifere Zangen aus dem Campan von Hannover unter dem Mikroskop |
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Abb 3
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Abb 4
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Abb 5
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Den zweiten Fund machten wir auf den besonders gut erhaltenen Acrosalenien-Coronen aus dem Dogger (Jura) von Landaville in Frankreich. Diese Exemplare sind sogar über 160 Mill. Jahre alt. Wenn ich im ersten Absatz von „Glücksfall“ und „Besonderheit“ spreche, so muss ich hier von „dem perfekten Fund“ sprechen, denn hier haben wir die Corona mit Stacheln, dem Kauwerkzeug und den Pedicellarien (Abb. 6 u. 7 ).
Abb 6
Klappzange von Acrosalenia aus dem Jura/Dogger |
Abb 7
Größenvergleich einer Klappzange von Acrosalenia |
Bekanntlich sind aller guten Dinge DREI. So fand ich nach langem Suchen den dritten Seeigel mit Pedicellarien. Es handelt sich um einen 300 Mill. Jahre alten Archaeocidaris blairi aus dem Karbon von Texas USA, der schon lange in meiner Sammlung lag. (Abb. 8 u. 9)
Sehr gut beobachten kann man die Zangen bei rezenten Seeigeln, die noch ihr Stachelkleid besitzen. Was sind Pedicellarien? Die als Pedicellarien bezeichneten Greifzangen (umgewandelte Stacheln) der Seeigel sind millimetergroße Gebilde zwischen den Stacheln der Tiere. Entdecker der Pedicellarien ist BASTER, der diese Teile 1762 als erster gesehen hatte und er beschreibt ihre Bewegungen, die sie zwischen den Stacheln stehend ausführen. Lange Zeit hat man sie als Parasiten angesehen, bis PERRIER 1863 in seinem Werk die Grundlage für unsere Kenntnisse des Skelettbaues dieser Organe legte. Der Körper der Pedicellarien setzt sich zusammen aus einem Kopfteil, welcher aus drei, selten aus vier oder fünf verkalkten Zangenbacken besteht und dem mehr oder minder langen Stiel, mit dem sie auf dem Gehäuse befestigt sind. Im unteren Teil des Stiels befindet sich ein zentral gelegener Kalkstab. Ein Weichkörper überzieht diesen Kalkstab und bildet den oberen Teil des Stieles. In diesem Weichkörper liegen die Muskeln und Nerven, die für die Beweglichkeit der Zangen und des Stiels zuständig sind. Nach der Größe, ihren Positionen und Aktivitäten teilt man die Pedicellarien (lat. pedicellus > kleiner Stiel) in vier Typen ein (Abb. 10 u. 11).
Abb 10
Viel Bewegung zwischen den Stacheln |
Abb 11
Die vier Typen der Seeigel–-Pedicellarien |
1. Scharfe Einstichzähne gefolgt von kürzeren Zahnspitzen kennzeichnen die globiferen Pedicellarien oder auch Giftzangen. Auf der Zangenaußenseite und oft auch am Stiel tragen diese Zangen ihre Gifttaschen. Die globiferen Pedicellarien sind die Schutzwaffen der Seeigel auf Leben und Tod. Bei schwachen Reizen, wie Berührungen der Haut, bilden die Stacheln zur Abwehr einen dichten Lanzenwall. Bei Annäherung eines Feindes lösen die Duftstoffe (chemische Reize) eine Reaktion aus. Die Stacheln legen sich auseinander und die Giftzangen strecken sich in Richtung zum Feind und beißen zu. Durch einen Sperrmechanismus reißt das gesamte Köpfchen ab und verbleibt in Körper des Gegners.
2. Weiter nach außen ragen die tridentalen Pedicellarien – die Klappzangen. Sie zeichnen sich durch ihre langen, schlanken Zangen aus. Sie sind die größten und beweglichsten Formen dieser Organe. Sie können ungemein rasch zugreifen und festhalten.
3. Die einfachste Bauweise unter den Zangen zeigen die ophiocephalen Pedicellarien – die gezähnten Beißzangen. Sie stehen bei regulären Seeigeln oft gruppenweise auf der Mundmembran sowie verteilt auf der Schale. Sie sind unter anderem verantwortlich für den Transport der Speise zum Mund.
4. Die kleinen, blattförmigen trifoliaten Pedicellarien arbeiten auf der Körperoberfläche als Putzorgan zum Aufnehmen kleinster Partikel. Diese Gruppe sind die kleinsten Pedicellarien auf der Gehäuseoberfläche. Sie säubern Corona und Stacheln von Fremdkörpern jeglicher Art und befreien den Seeigel von fremden Tieren, welche sich auf ihm festsetzen wollen. Selbst der eigene Kot, der am Scheitelpunkt des Seeigels austritt, wird von ihnen entfernt. Da sie nicht aus kalkigem Material bestehen, sind sie selten zu finden.
In seinem Buch „Die Echinodermen des Schweizer Jura“ zeigt H. HESS sehr anschaulich, wie der Seeigel mit Hilfe der Pedicellarien auf einen Angriff reagiert (Abb. 12 - 14)
Abb 12
Unberührte Fläche eines Psamechinus miliaris: |
Abb 13
Abwehrreaktion bei leichter Berührung: |
Abb 14
Bei Annäherung eines Feindes (Seestern): |
Auch hier ist zu erkennen, dass auf einem Seeigel unterschiedliche Zangen vorhanden sein können. Ich habe auf einem rezenten Echinus esculentus drei unterschiedliche Zangen entdeckt (Abb. 15 – 15b)
Abb 15
Echinus esculentus |
Abb 15a
Globifere (Gift-) Zange vom Echinus esculentus |
Abb 15b
Tridentale (Klapp-) Zange vom Echinus esculentus |
Auf einem Plococidaris fand sich sogar eine vierklappige Pedicellarie (Abb 17 – 17b).
Abb 17
Plococidaris verticillata |
Abb 17a
Ophiocephale (Beiß-) Zange vom Plococidaris verticillata |
Abb 17b
4-klappige globifere Zange vom Plococidaris verticillata |
Die Abbildungen 18 – 23a zeigen, wie vielseitig die Formen der Pedicellarien sind und dass man auch die Pedicellarien zum Bestimmen der Seeigel heranziehen kann. Bei fossilen Zangen dürfte dieses jedoch schwierig sein.
Abb 18
Heterocentrotus mammillatus |
Abb 18a
Tridentale (Klapp-) Zange vom Heterocentrotus mammillatus |
Abb 19
Colobocentrotus atratus |
Abb 19a
Ambulakralfüßchen + Klappzangen vom Colobocentrotus atratus |
Abb 20
Spaerechinus granularis |
Abb 20a
Gruppen von Beißzangen auf der Mundmembran des Spaerechinus granularis |
Abb 21
Phyllocanthus imperalis |
Abb 21a
Die schlanke tridentale Zange vom Phyllocanthus imperalis |
Abb 22
Pericosmus cordatus |
Abb 22a
Die besondere Form bei Pericosmus cordatus |
Abb 23
Echinocardium cordata |
Abb 23a
Globifere (Gift-) Zange Echinocardium cordata |
Zur Vervollständigung muss noch gesagt werden, dass die Greifzangen / Pedicellarien außer beim Seeigel auch beim Seestern zu finden sind, hier jedoch immer 2-klappig.
Bei unserem Ägypten-Urlaub am roten Meer haben wir eine halbe Corona des regulären Seeigel Tripneustes gratilla gefunden. Bei diesem Stück zeigt sich, wie viele Pedicellarien im Verhältnis zu den Stacheln auf diesem Tier vorhanden sind. Bei genauer Betrachtung kann man die drei kalkigen Zangen erkennen.
Tripneustes gratilla
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Getrocknete Corona
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Wenige Stacheln + viele Pedicellarien
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Die Kalkstäbchen und die Zange sind zu erkennen
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Die drei Zangentypen: |
Auf diesem Wege möchte ich mich bei meiner Frau für die Überlassung und das aufwendige Suchen der Pedicellarien bedanken. Ebenfalls bedanke ich mich bei Herrn Hans-Jürgen Lierl für die Durchsicht des Manuskripts bei Herrn Hans Hess für die Genehmigung seine Zeichnungen nutzen zu dürfen und bei Dr. Christian Neumann für die Bilder mit dem Rasterelektronenmikroskop.
HESS, H. 1975:Die fossilen Echinodermen des Schweizer Jura. – Veröffentlg. a. d. Naturhist.Mus.Basel Nr.8
LADE, P. 2007:Seeigel und andere Echinodermaten. CD der Geo-AG Kiel
LUDWIG & HAMANN 1904 :Dr.Bronn´s Thier-Reichs / Echinodermen 2. Band3. Abtheilung
MÜLLER 1989:Lehrbuch der Paläozoologie Band II Teil 3
NESTLER, H. 1978:Pedicellarien aus der Oberkreide. Biologische Rundschau Band 16 Heft 2
WESTHEIDE RIEGER Spezielle Zoologie Echinodermaten S. 821