von Klaus Vöge
Seit 15 Jahren ist Hamburg um eine schwergewichtige Sehenswürdigkeit reicher. Bei Baggerarbeiten zur Elbvertiefung wurde ein gewaltiger Findling in der Elbe entdeckt. In der Elbe konnte er nicht bleiben. Also was sollte mit diesem Brocken passieren? Sprengen oder Bergen. Die Entscheidung fiel zu Gunsten des Findlings aus und er sollte geborgen werden. Aber ganz so einfach machte es der Stein dem Schwimmkran dann doch nicht. Beim ersten Versuch zeigte sich der Findling ca. 1 ½ Meter über der Wasseroberfläche, rutschte aus der Halterung und versank wieder in der Elbe. Bei diesem Versuch zeigte sich aber auch, dass der Stein um etliches schwerer war als er ursprünglich geschätzt wurde. Der zweite Bergungsversuch verlief dann erfolgreich. Der Stein wurde auf eine Schute verladen und an den Strand von Övelgönne transportiert, wo er an einem vorbereiteten Platz aufgestellt wurde.
Hier ist er zu einem richtigen Fotomodell geworden. Leider wird er auch regelmäßig von Sprayern aufgesucht. Nachdem er seinen festen Platz erhalten hatte, wurde er wissenschaftlich untersucht, um die anfallenden Fragen zu beantworten. Als erstes konnte das Gewicht ermittelt werden; das war schnell möglich, denn der Schwimmkran hat eine eingebaute Waage. Es sind stolze 217 Tonnen Gestein. Sein Umfang beträgt fast 20 Meter, seine Höhe 4,5 Meter und die Breite zwischen 8,0 und 5,2 Meter. Damit ist dieser Fund aus der Elbe einer der größten Findlinge im norddeutschen Raum. Die Presse machte ihn zum größten Findling Europas, aber da sind noch einige Findlinge gewaltiger (z.B. der Große Stein von Altentreptow mit 360 Tonnen und der Findling „Buskam“ vor Rügen mit einem geschätzten unglaublichen Gewicht von 1.600 Tonnen). Dafür hat der Hamburger „Zugereiste“ den schönsten Ausblick auf die vorbeifahrenden Schiffe auf der Elbe.
Apropos „Zugereister“: um welches Material handelt es sich, wie alt ist unser Stein, wann ist er zu uns eingereist und wie ist er zu uns gekommen? Diese Fragen haben uns Herr Prof. R. Vinx und Herr Dr. J. Ehlers beantwortet. Sie befassen sich mit diesen Themen wissenschaftlich. Der Granit kann im engsten Sinne als grauer Ostsmålandgranit aus der Region von Växjö (oder Växjögranit) angesehen werden und ist rund 1,8 Milliarden Jahren alt. Für den Transport zu uns sind die Gletscher der letzten drei Kaltzeiten verantwortlich. Die Gestaltung der Landschaft von Schleswig-Holstein ist das Werk von Kaltzeiten und den jeweils folgenden Warmzeiten. Die Gletscher haben in den Jahrtausenden eine riesige Menge von Sand und Steinen (Geschiebe) aus dem skandinavischen Raum zu uns transportiert. Hier die letzten drei nördlichen Kaltzeiten:
Weichselkaltzeit vor 80.000 – 15.000 Jahren
Saalekaltzeit vor 200.000 – 125.000 Jahren
Elsterkaltzeit vor 300.000 – 250.000 Jahren
Ältere Kaltzeiten sind bis heute in Norddeutschland nicht nachgewiesen.
Da die Gletscher der Weichselkaltzeit die Elbe nicht überschritten haben, kommen nur die beiden älteren Gletschervorstöße für den Transport infrage, die sich weiter in Richtung Westen ausgebreitet haben. Bei der Zeitbestimmung des Transports, kommt ein weiterer Findling (der Stein von Othmarschen) ins Spiel. Dieser 60 Tonnen schwere Findling ist bei den Arbeiten zur vierten Elbtunnelröhre gefunden worden. Anhand des ihn umgebenden Geschiebematerials konnte nachgewiesen werden, dass dieser Stein von den Gletschern der Saalekaltzeit zu uns transportiert wurde. Bei unserem Findling von Övelgönne wurde anhand des umgebenden Materials festgestellt, dass der riesige Brocken mit der älteren Elsterkaltzeit vor 300.000 -250.000 Jahren zu uns gekommen ist. Nach dieser gewaltigen Zeitspanne wurde es auch Zeit, ihm endlich einen Namen zu geben. Der große Stein wurde am 6. Juni 2000 feierlich auf den Namen „Alter Schwede“ getauft und damit wurde er offiziell eingebürgert.
Abschließend möchte ich noch kurz beschreiben wie die Landschaft Schleswig-Holsteins durch die Eiszeiten der letzten 300.000 Jahre geprägt wurden. Es ist kaum vorstellbar, aber es gab in der jüngeren Erdgeschichte Zeiten in denen große Teile Nordeuropas über mehrere tausend Jahre unter einer mächtigen Eisdecke begraben waren. Infolge der Abkühlung kam es in Nordeuropa verstärkt zu Schneefällen. Es gab viel mehr Schnee als in den Sommermonaten abschmelzen konnte. Dadurch häufte sich der Schnee gewaltig an und wurde durch das Eigengewicht zu Eis zusammengepresst. In den Nährgebieten wuchs das Eis bis zu einer Höhe von 3.000 bis 5.000 Meter. Wie viel Schnee muss in den Bergen Skandinaviens gefallen sein, wenn für 1 Meter Eis 80 Meter Schnee fallen muss. Da Eis plastisch ist, begannen die gewaltigen Eismassen vorzurücken. Die Gletscher flossen über hunderte Kilometer von der norwegischen Hochplateaufläche in südliche und südwestliche Richtung. Das Eis übte eine ungeheure Kraft auf den Untergrund und die Flanken aus. Gestein in unterschiedlicher Größe wurde losgerissen, Felsen zermahlen und mitgeführt. Das sogenannte „Geschiebe“ luden die Gletscher nach einer langen Reise bei uns im Norddeutschen Raum ab.
Welche Mengen da bewegt wurden, erahnt man, wenn man weiß, dass wir in Schleswig-Holstein auf einer Geschiebeschicht von 200 bis 400 Metern leben. Charakteristische Hinterlassenschaften der Gletscher sind neben Moränen und Sanderflächen auch die Gesteinsstrände der Ostsee mit ihren Geschiebemergelkliffs. Kennzeichnend ist die Durchmischung aller Korngrößen vom feinsten Partikel bis zum Findling. Ein weiteres Charakteristikum sind die Gletscherschrammen oder sogenanntes Gekritztes, das durch gegenseitiges Reiben der Gesteine während des Transports entstanden ist. Wenn wir bedenken, dass das Gletschereis in Schleswig-Holstein noch eine Stärke von 300 bis 500 Meter hatte, ist verständlich, dass der „Alte Schwede“ kein Transportproblem darstellte. Da die Gletscher in Skandinavien auch die Sedimentgesteine abgebaut und zu uns transportiert haben, können wir in den Kiesgruben und an der Küste die von uns gesuchten Fossilien finden, zwar nicht sortiert, dafür aus allen Erdzeitaltern.
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