von Klaus Vöge
Die Ostsee ist eines der bevorzugten Urlaubsgebiete der Deutschen. Doch abseits der idyllischen Sandstrände und Steilküsten ist die Ostsee ein relativ junges Binnenmeer, das mit erheblichen Umweltproblemen zu kämpfen hat. Mit eben 415.000 km² und einem Wasservolumen von 21.600 km³ zählt die Ostsee zu den kleinen Meeren unseres Planeten. Da durch die schmale Verbindung zur Nordsee das Wasser nur langsam ablaufen kann, ist der Pegelstand im Nordosten 35 cm höher als in der westlichen Ostsee. Durch die Flusswasserzuläufe im östlichen Bereich, kommt es von Westen nach Osten zur Aussüßung. Im Gebiet Dänemarks liegt der Salzgehalt zwischen 2 bis 3%, während er zum östlichen Teil kaum noch spürbar ist.
Vergangenheit: Während die Nordsee auf eine Geschichte von 180 Millionen Jahren zurückblicken kann, liegt der Ursprung der Ostsee im Dunkeln bzw. unter Eis vergraben. Wie die Elster- und Saaleeiszeit an der Bildung der Ur-Ostsee beteiligt waren, ist nicht geklärt. Die Saalevereisung schuf jedoch vor ca. 100.000 Jahren die Barriere zwischen Nord- und Ostsee. Die damaligen Endmoränen der Geest von Schleswig-Holstein und Jütland sind von der folgenden Weichsel-Vereisung nicht erreicht worden und somit erhalten geblieben. Gesichert ist, dass bei der Formung der Ostsee-Senke die Ausschürfungen der Weichsel-Kaltzeit eine wesentliche Rolle gespielt haben. Die größte Ausdehnung der Weichseleiszeit war vor 45.000 Jahren und reichte bis an die Linie Flensburg – Rendsburg – Neumünster – Hamburg – Berlin. Auf dem skandinavischen Schild lag derzeit eine Eisdecke von 3.000 bis 5.000 m. Selbst in Schleswig-Holstein hatte das Eis immer noch eine Stärke von 200 bis 400 m. Dieses bedeutete, dass auf die auf dem Magma schwimmende Erdkruste ein enormer Druck ausgeübt wurde. Aus der Erkenntnis, dass die Erdkruste nicht starr ist, kommt es bei lang anhaltender Belastung zum Einbiegen/Senken der Erdkruste. Bei Entlastung wölbt sich die Erdkruste aufgrund der Zähigkeit des Magmas etwas verzögert wieder auf, so dass es mit dem Abschmelzen des weichseleiszeitlichen Inlandeises zu einer Ausgleichsbewegung kam. Diese Hebung der Erdkruste ist bis zum heutigen Tag noch nicht abgeschlossen.
Der zweite wichtige Einflussfaktor bei der Entwicklung der Ostsee sind die klimaabhängigen Wasserstandsänderungen. Da zur damaligen Zeit große Wassermassen im Eis gebunden waren, lag der Wasserspiegel, zum Beispiel in der Nordsee, um etwa 80 bis 100 Meter unter dem heutigen Niveau. Das änderte sich erst, als es vor ca. 15.000 Jahren im Zuge der einsetzenden Warmphase zur Freisetzung großer Wassermassen kam. Das Zusammenspiel von Landhebung, weltweitem Meeresspiegelanstieg und unterschiedlichem Salzgehalt bestimmte entscheidend die spät- und nacheiszeitliche Geschichte der Ostsee. Im späten Pleistozän bildeten sich vor dem Eisrand in Südschweden etliche Eisstauseen, die sich in der jüngeren Tundrenzeit zum großen „Baltischen Eisstausee“ (einem Süßwassersee) zusammenschlossen. Der Stausee füllte sich weiter, bis er 25 bis 30m über dem Nordseewasserstand lag und mit einem katastrophen-artigen Ereignis überlief. Riesige Mengen von Süßwasser ergossen sich durch Mittelschweden direkt in den Skagerrak. Durch den entstandenen mittelschwedischen Verbindungskanal konnte nun auch Salzwasser in den Ostseebereich einfließen. So bildete sich das brackige „Yoldia-Meer“, das nach einer damals dort lebenden Brackwasser-Muschel benannt ist.
Dieser frühen „Ostsee“ war nur eine kurze Zeit vergönnt. Mit dem rasch abschmelzenden Eis stieg der weltweite Meeresspiegel, doch hob sich auch das vom Gewicht des Eises befreite Mittelschweden. Die Verbindung zum Skagerrak schloss sich weitgehend und es bildete sich der „Ancylus-See“ (ein Süßwassersee). Auch hier wurde der See nach der dort lebenden Flussnapfschnecke genannt. Mit dem weiter steigenden weltweiten Meeresspiegel war auch die zweite Süßwasserphase bald vorüber. Unaufhörlich drang Salzwasser durch den Kattegatt nach Süden vor. Es schufen sich schließlich durch den Öresund sowie den Großen und Kleinen Belt drei Verbindungswege zur Ostsee. Mit dem „Litorina-Meer“ wurde die wechselvolle Süß- und Salzwasser-Geschichte dieses Schelfmeeres vorerst beendet und es entstand die Brackwasser-dominierte Ostsee, wie wir sie heute kennen. In den letzten 2.000 Jahren, süßte die Ostsee wegen der ständigen Zufuhr von Flusswasser immer mehr aus. Zudem kam es aufgrund der Verengung der dänischen Pforten zu einem verringerten Salzwassereinstrom. Der ältere Abschnitt dieser Epoche wird nach der Brackwasserschnecke Limnea ovata als „Limnea-Meer“ bezeichnet; die letzten 500 Jahre werden nach der brackigen Sandklaffmuschel Mya arenaria als „Mya-Meer“ benannt.
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Gegenwart: Zu den Besonderheiten der Ostsee gehört, dass es nur über die Verbindung zur Nordsee einen eingeschränkten Wasseraustausch mit den salzhaltigen Weltmeeren gibt. Der Salzwassereinstrom aus dem Westen trifft auf gewaltige Süßwassermengen, die über große Flüsse wie Oder, Weichsel, Memel, Düna und Newa in die Ostsee gelangen. Dieses Gemisch aus Süß- und Salzwasser macht die Ostsee zu einem der größten Brackwassergebiete der Erde. Da die Salzkonzentration nicht einheitlich verteilt ist, sondern in der westlichen Ostsee deutlich höher ist als in den östlichen und nördlichen Regionen, steht das Ökosystem unter Dauerstress. Viele Organismen haben erhebliche Schwierigkeiten mit dem unterschiedlichen Salzgehalt. Die Ostsee ist eine geschundene Region, manche meinen sogar, sie sei auf dem Weg, ein totes Meer zu werden. Pflanzen und Tiere finden hier keine optimalen Lebensbedingungen vor, was nicht zuletzt am wechselhaften Nährstoffkreislauf liegt. Überdüngung des Meeres führt vor allem in den Sommermonaten zu einem vermehrten Algenwachstum. Wenn diese absterben, sinken sie auf den Meeresboden, wo sie von Bakterien zersetzt werden. Bei diesem Vorgang wird dem am Boden lagernden Salzwasser Sauerstoff entzogen. Zusätzlich setzen die Bakterien Schwefelwasserstoff frei, der für Fische giftig ist. Wenn sauerstoffhaltiges Nordseewasser für längere Zeit ausbleibt, stirbt der Meeresboden. Das muss allerdings nicht so bleiben. Diese außergewöhnliche Salzzufuhr geschah 2014.
Das Leibniz Institut Warnemünde meldet: Im Dezember 2014 kam es in der Ostsee zu einem für ihr Ökosystem wichtigen, aber sehr seltenen Phänomen: Sauerstoffhaltiges Salzwasser strömte über mehrere Tage aus der Nordsee in die Ostsee ein. Nach Auswertung der gemessenen Werte steht fest, dass es sich um den größten Salzwasser-Einbruch der letzten 60 Jahre handelte. Innerhalb von drei Wochen gelangten 198 km³ sauerstoffhaltiges Salzwasser (Das entspricht etwa der Wassermenge im Bodensee) in die Ostsee. Das bedeutet ca. 4 Gigatonnen Salz. Vorausgegangen war eine Phase langanhaltender Ostwinde, die einen starken Ausstrom verursachten, sodass der Meeresspiegel deutlich fiel. Als dann der Wind nach West drehte, konnte das Nordseewasser einströmen. Da die Windsituation über drei Wochen hinweg unverändert blieb, konnten große Mengen an Salzwasser in die Ostsee gelangen. Etwas Besseres konnte der Ostsee zurzeit nicht passieren.
Zukunft: Wie sieht die Zukunft der Ostsee aus? Die globale Klimaerwärmung wird auch hier nicht folgenlos bleiben; durch das Abschmelzen polarer Eiskappen steigt der Meeresspiegel. Dennoch sind entlang der Ostseeküsten weit weniger Flächen von künftigen Überschwemmungen bedroht als zum Beispiel rings um die Nordsee. Die Hügelketten der eiszeitlichen Moränen schützen fast überall das Hinterland. Nur in der Nähe der Flussmündungen von Oder, Weichsel und Memel sind größere Flächen gefährdet. In Schleswig-Holstein sind vor allem die nördliche Probstei, der Oldenburger Graben und Teile von Fehmarn bedroht. Auch wenn das beruhigend klingen mag, sollten wir uns als Verursacher des Klimawandels über die Gefahren für viele andere Küsten auf der Welt und die dort wohnenden Menschen im Klaren sein und entsprechend verantwortungsbewusst handeln. Nur dann können wir mit gutem Gewissen die Schönheit der Ostsee genießen.
Entwicklung der Ostsee
Name | Leitfossil | Salzgehalt | Zeit |
Baltischer Stausee | süß | 13.000-10.000 | |
Yoldia Meer | Yoldia arctica | salzig | 10.000-9.500 |
Ancylus See | Ancylus fluviatilis | süß | 9.500-8.000 |
Litorina Meer | Littorina Littorea | salzig/brackig | 8.000-2.000 |
Limnaea Meer | Limnea ovata | brackig | 2.000-500 |
Mya Meer | Mya arenaria | brackig | 500-heute |